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Siedlerschaft München e.V.

Geschichte

Die Siedlerschaft München-Nord wurde im Jahre 1948 gegründet. Über den genauen Gründungstag liegt leider keine verlässliche Aufzeichnung vor.

Der Zuständigkeitsbereich des Vereins

In der Mitgliederversammlung vom 11.03.1956 wurde beschlossen, den Verein unter dem Namen Siedlerschaft München-Nord e.V. ins Vereinsregister eintragen zu lassen. Die 1. Vereinssatzung wurde am 11.10.1957 beschlossen und am 13.05.1958 im Vereinsregister eingetragen. Das Gebiet des Siedlerverein München-Nord e.V. liegt im Münchner Norden, in Freimann und ist wie folgt begrenzt: Im Norden durch den Schmidbartlanger, im Süden durch die Heidemannstraße, von der Grusonstraße im Westen bis zum Werner-Egk-Bogen im Osten (wobei die Anwohner der Freimanner Heide des Werner-Egk-Bogen nicht mehr zur Siedlung gehören). Siedlungsgebiet siehe Abbildung.


Entstehungsgeschichte unserer Siedlung

Johann Weber

Der zu Ende gehende Krieg hinterließ 1945 neben der katastrophalen wirtschaftlichen Lage eine nicht mehr zu überbietende Wohnungsnot. Dieses Elend steigerte sich noch durch einen unkontrollierten Strom von Ausgewiesenen und Flüchtlingen aus den Ostgebieten des Deutschen Reiches. Der Staat, die Länder, die Städte waren damals nicht in der Lage, den Menschen Wohnraum zu beschaffen.

Siedlungswillige erkannten die Lage und bemächtigten sich des ehemaligen Truppenübungsplatzes in München-Freimann. Sie gründeten einen Verein, um nach außen eine geschlossene Gemeinschaft und Stärke zu garantieren.

Sofort wurde von den Siedlern damit begonnen, auf dem Gelände des ehemaligen „Königlich-Bayerischen Truppenübungsplatzes“ und des späteren „Wehrmacht-Schießplatzes“, nördlich der Heidemannstraße, westlich der Autobahn München-Nürnberg und östlich der Grusonstraße, Teile dieses Geländes zu parzellieren.

Westlich der Autobahn, an stadteigenes Bauernland im Osten und an den Schießplatz im Westen angrenzend, wurde ein ca. 200-300 Meter breiter und ca. 900 Meter langer Geländestreifen besetzt. Ebenso östlich der Grusonstraße, der damals einzigen Pflasterstraße in diesem Gebiet, wurde auch ein ca. 300 Meter breiter und ca. 900 Meter langer, ebenfalls an den Schießplatz angrenzender zweiter Geländestreifen als Siedlungsland in Besitz genommen. Die Gesamtfläche des besetzten Schießplatzgeländes betrug 61,37 ha. Zwischen diesen beiden Streifen lag der Schießplatz. Mit riesigen Schutzwällen und darauf Betonwänden mit einer Gesamthöhe von 12 bis 15 Metern.

Des weiteren mit Bunkerbauten, Splittergräben und Splitterwänden. Der Schießplatz wurde bis zum Kriegsende von der Wehrmacht zum Übungsschießen mit scharfer Munition genutzt. Gewehr-, Maschinengewehrmunition, panzerbrechende Granaten wurden auf diesem Gelände verschossen.

Nach Kriegsende lag das Terrain brach. Wie sah dieses Gelände aus? Es war mit Laufgräben, metertiefen Schützenlöchern, hohen Schutzwällen, Bomben- und Granattrichtern übersät und durchzogen. Des weiteren ragten aus einer zumeist mageren Humusschicht abgeschnittene Baumstümpfe, Wurzelwerk, Schrott und Reste von verrostetem Kriegsmaterial hervor. Einige auf dem Ostteil stehen gebliebene Munitionsbaracken, Eisenbahnwaggons und alte Busse wurden bewohnt oder als Geräteschuppen genutzt. Auf Drängen der damals Verantwortlichen, im Besonderen auf Drängen von Herrn Großkopf, wurde dieses Terrain nun in 500-600 Quadratmeter große Parzellen aufgeteilt und an Siedlungswillige vergeben. Sie mussten nun beginnen, das ihnen zugeteilte Stückchen Land zu säubern, zu planieren und einzufrieden. Auch die für Straßen und Wege vorgesehenen Flächen mussten von den Anliegern planiert und hergerichtet werden. Auf den Straßen wurde Humus und die Muttererde abgehoben und zur Vermehrung der mageren Gartenerde benutzt.

Dann wurde von vielen, gezwungen durch die große Wohnungsnot, eine Behelfsunterkunft ohne Plan und Genehmigung errichtet. Mitten in diese Arbeiten drang nun plötzlich die Kunde, das Gelände müsse wieder geräumt werden. Das veranlasste viele, ihre Parzellen sofort zu veräußern. Der Vorstand mobilisierte sofort den Stadtrat, und auf Drängen von Teilen des Münchner Stadtrates und des Staatsministers für Landwirtschaft und Forsten gab nun die damalige Militärregierung dieses ehemalige Wehrmachtsgelände für Siedlungszwecke frei. 1949 wurde ein Bebauungsplan von der Stadt München erstellt.

Als verantwortlicher Architekt für dieses Gelände wurde Herr F. Lindner von der Stadt München benannt. Mit der Zusicherung des damaligen Siedlungsvorstandes Herrn Großkopf, dass der Bebauungsplan endlich genehmigt sei, wurde eine rege Bautätigkeit eingeleitet.

Wie schwer dies vielen gefallen ist, sieht man daran, dass Herr Großkopf zu Drohungen greifen musste, die darin gipfelten: „Wenn ihr nicht sofort zu bauen beginnt, wird der Pachtvertrag für euer Grundstück gekündigt“.

Nach dem Inkrafttreten des Bebauungsplanes standen nun 6 verschiedene Haustypenpläne zur Auswahl. An diesen Plänen durften nur mit Einverständnis des Architekten kleine Änderungen vorgenommen werden. Damit begann für viele Siedlerfamilien ein Leidensweg. Denn viele Siedler hatten bereits begonnen, mit Pickel und Schaufel, in Handarbeit, den Keller auszuheben und die Wände zu betonieren, halt das Häuschen zu bauen.

Jetzt kamen die Pläne. Sie passten aber nicht zu dem Ergebnis. Denn die Größe des Hauses bestimmte oft die Kraft der Muskeln; war man sehr müde, wurde der Keller kleiner, hatte man noch Kraft, konnte man größer bauen. Darum gab es öfter Streit und Ärger mit der Bauleitung.

Um die Lage der damaligen Siedler zu verstehen, muss man wissen, unter welchen Umständen die Leute damals ihr Häuschen errichtet haben. Mit Reichtum und Glücksgütern war niemand gesegnet. Diese Menschen waren alle arm. Sie waren aber bereit, viel und schwer zu arbeiten.

Wie schon gesagt, die Keller wurden mit Pickel und Schaufel gegraben. Bagger gab’s keine, denn sie waren viel zu teuer. War der Keller ausgegraben, wurden mit diesem Kies die Kellerwände und die Decke betoniert. Viele Kellerwände sind nur innenseitig verschalt worden, weil erstens weniger ausgegraben werden musste und zweitens die Bretter für die doppelseitige Schalung fehlten. War der Keller endlich fertig, zog man meist ein, obwohl die Keller kein Wasser, keinen Strom und auch keine sanitären Anlagen hatten. Die Kellerdecken waren oft undicht, sodass bei Regenwetter Wasser in die Räume tropfte, trotzdem gab es wenig Klagen. Denn man hatte ein Ziel vor Augen: Das eigene Häuschen.

Jetzt hieß es billige Ziegel besorgen. Schuttberge gab’s damals ja genug. Deshalb war das Beschaffen der Ziegel größtenteils Frauen- und Kinderarbeit, denn der Mann musste das Geld für den Lebensunterhalt und die Baumaterialien verdienen.

Nach Feierabend wurde statt nach Hause auf einen Schuttberg gefahren, dort half man der Frau die Steine, die sie während des Tages geklopft hatte, auf einen Handkarren zu laden, der dann von beiden nach Hause gezogen wurde. Samstags und sonntags wurden die Ziegel vermauert, wobei sich die Frauen als Handlanger und Hilfsarbeiter betätigen mussten. Daneben wurde von ihnen der Haushalt und die kleinen Kinder versorgt. Waren nun die Umfassungsmauern fertig, kam wieder ein Problem dazu: Woher das Geld für Balken und Dachstuhl nehmen? War dieses geschafft, und stand das Häuschen endlich, kam der Innenausbau.

Trotz restlosen Einsatzes aller Mittel und Kürzung des Wirtschaftsgeldes auf ein Minimum, konnten viele Siedler nur ein oder zwei Zimmer fertig stellen und beziehen. Hier hauste man nun wieder auf engstem Raum zusammengepfercht und musste feststellen, dass es nun erst recht darauf ankommt, durch eigene Kraft vorwärts zu kommen.

Alles andere musste zurückstehen! Man lebte von dem, was der Garten hervorbrachte, von Brot, von Margarine und von billigem Freibankfleisch. Butter, Obst und Kuchen waren Luxusartikel. Kleider und Schuhe wurden wieder und wieder geflickt und ausgebessert. Möbel wurden selbst gemacht oder billig beim Trödler gekauft. Kultur kannte man nur vom Hörensagen. Theater, Kino waren Fremdworte. Aber es ging vorwärts. Ein Zimmer nach dem anderen wurde fertig, bei dem einen schneller, bei dem anderen langsamer, wie es die jeweilige finanzielle Lage erlaubte.

1949 wurde auch die ehemalige „Bauernsiedlung-München“ in „Bayerische Landessiedlung GmbH“ umbenannt. Sie begann ab 01. Januar 1950 neue Pachtverträge mit den einzelnen Siedlern abzuschließen. Diese Pachtverträge enthielten den Passus: „Dem Pächter wird dieses Gelände zur Errichtung einer Siedlerstelle und zur dauernden Sesshaftmachung der Familie überlassen“.

Zur Unterstützung schüttete die Bayerische Landessiedlung GmbH in den Jahren 1949 bis zum Frühjahr 1952 Darlehen, bestehend aus „Soforthilfe- Darlehen“, „Wiederaufbau-Darlehen“, „Sozialhilfe-Darlehen“ und „Städtebau-Darlehen“ in Höhe von 500 DM bis 4500 DM an einen Teil der Siedler aus. Das Auswahlkriterium ist unbekannt geblieben. Der Großteil der Siedler wurde überhaupt nicht berücksichtigt.

Im Zuge von Bereinigungsmaßnahmen durch die Bayerische Landessiedlung GmbH wurde am 28.09.1952 eine Neugründung der Siedlung durchgeführt. Unsere Siedlung nannte sich fortan „Siedlerschaft München Nord e.V.“ Dabei wurde uns vom Siedlungsträger eine „Mustersatzung“ fünf Minuten vor Beginn der Versammlung in die Hand gedrückt, mit der Auflage, die Satzung zu unterschreiben oder als Siedlergemeinschaft nicht anerkannt zu werden. Wegen Zeitmangels und wegen Unstimmigkeiten in Vereinsführung und Vorstand konnten die vorhandenen Zweifel nicht ausdiskutiert werden. Der Referent der Bayerischen Landessiedlung GmbH erklärte dann wörtlich: „Wenn ihr die Satzung nicht unterschreibt, bekommt ihr keine Staatskredite, außerdem könnt ihr nicht als Mitglieder der Siedlergemeinschaft anerkannt werden und müsst die Konsequenzen aus der Kündigung ziehen“.

Die Sorge um die Erhaltung der Siedlerstelle für die Familie zwang viele Siedler zur Unterschrift. Erst jetzt wurde ihnen klar, dass der Grund nicht – wie versprochen- ihnen selbst übereignet wird, sondern dass die Dienststelle BLANK (Vorgänger des Bundesverteidigungsministeriums) den Grund und Boden der Bayerischen Landessiedlung GmbH überträgt. Was auch aus einem Telegramm der Dienststelle BLANK an die Bayerische Landessiedlung GmbH hervorging, das Herr Dr. Dobler der Versammlung vorlas.

Im Jahre 1953 versuchte nun die Bayerische Landessiedlung GmbH, durch Vorlegen eines Siedleranwartschafts- und Nutzungsvertrages die enormen Eigenleistungen der Siedler von ca. 74% zu drücken.

Diese Zahl 74% ergibt sich daraus, dass die Siedlung in Familien- Selbsthilfe geschaffen wurde. Legt man nun pro Siedlerstelle für die Errichtung von Haus, Garten und Straßenbau eine 7jährige Bauzeit zugrunde, so ergibt das ca. 3500 Arbeitsstunden. Multipliziert man nun Arbeitszeit mit den Lohnkosten, so entspricht das etwa 74% der Gesamtbausumme.

Außerdem wurde versucht, die Siedler durch Kredite und Darlehen zu binden. Dieses Ansinnen wurde rechtzeitig erkannt, und viele lehnten deshalb die zum Teil riesigen Summen rundweg ab, trotz Drohung: „Wenn ihr dieses Geld nicht nehmt, das wir euch anbieten und die vorgelegten Verträge nicht unterschreibt, kündigen wir euch, ihr müsst die Siedlerstelle räumen und in das Lager Schleißheim ziehen“.

Das führte dann zu einer denkwürdigen Protestversammlung in der Gaststätte Schleißheimer Alm. Auf dieser Versammlung wurden diese Pläne der Bayerischen Landessiedlung GmbH einhellig abgelehnt. Die Vereinsführung wurde beauftragt, einen Brief zur Situation der Siedlung zu verfassen und an alle nur denkbaren Stellen, von denen Hilfe zu erwarten war, zu versenden. Angefangen vom Bundespräsidenten Dr. Theodor Heuss, Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, zu Bundestagsabgeordneten aller Parteien, zu Vertretern der beiden Kirchen bis hin zur Liga für Menschenrechte in Hamburg.

Die Siedlung umfasste zu dieser Zeit ca. 61,37 Hektar früheres Wehrmachtsgelände, mit 651 Siedlerstellen. Diese wurden von 668 Siedlerfamilien bewohnt. Davon waren 241 (34,6%) einheimische Familien. 427 Familien (65,4%) waren Flüchtlinge und Heimatvertriebene aus allen Teilen des früheren Deutschen Reiches. Aus Schlesien, Thüringen, Sachsen, aus dem Sudetenland, aus Ungarn, Rumänien und aus Jugoslawien. Hier wiederum stammte ein sehr großer Teil aus der Batschka. Die Siedlung wurde damals von ca. 2300 Menschen bewohnt. Wobei die berufliche Bildung vom einfachen Hilfsarbeiter bis hin zu akademischen Berufen, wie Lehrer und Arzt, reichte. Der überwiegende Teil der Bevölkerung kam aber aus bäuerlich-handwerklichen Berufen. Die Siedlung wurde bis dahin zweifellos gegen den Willen von Siedlungsbehörden und gegen den Willen der Bayerischen Landessiedlung GmbH geschaffen. Die erarbeiteten Werte betrugen nach damaligen Schätzungen ca. 7 – 10 Millionen DM. Aber die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Die Häuser hatten meistens nur einen selbstgeschlagenen Grundwasserbrunnen und ein sogenanntes Plumpsklo. Nach ersten Typhusfällen wurde 1952 die Infrastruktur der Siedlung entscheidend verbessert.

Die Siedlung wurde endlich an das Gas-, Wasser- und Stromnetz der Stadt angeschlossen. Außerdem wurde auf einem von der Siedlung bereitgestellten Gelände eine katholische Notkirche errichtet, die von der Pfarrei St. Albert durch Herrn Pater Oderich betreut wurde.

1953 führte der Vorstand Verhandlungen mit dem Stadtplanungs-Referat mit dem Ziel, die Neben- und Seitenstraßen der Siedlung in Eigenleistung zu errichten. Aber Unregelmäßigkeiten in finanziellen Dingen des Vereins, die hier nicht näher untersucht werden, führten zu Rückschlägen in der Weiterentwicklung der Siedlung. Die Reibereien führten schließlich zu einer „Außerordentlichen Mitgliederversammlung“. Einziger Tagesordnungspunkt: „Neuwahl der gesamten Vorstandschaft“.

Als 1. Vorstand wurde Herr Josef Schmidseder gewählt. Die neue Vorstandschaft machte es sich zur Aufgabe, wieder Ruhe in den Verein zu bringen und die leere Siedlungskasse auf eine fundierte Basis zu stellen. Außerdem wurde mit dem Bayerischen Siedler- und Eigenheimerbund eine für Siedler nützliche, fruchtbare und langwährende Zusammenarbeit begonnen.

In Verhandlungen mit der Stadt München konnte die Siedlung von Planund Genehmigungsgebühren befreit werden. Bereits ausgesprochene Baustrafen wurden den Siedlern erlassen. Außerdem wurde erreicht, dass die Stadt München die hässlichen Erd- und Betonmassen auf dem Kirchenplatz für die Siedlung kostenfrei entfernte.

Es wurden auch die ersten Verhandlungen zur Übereignung des Grund und Bodens geführt. 1954 schloss man die Verhandlungen mit dem Stadtplanungsreferat mit dem Ziel, die Siedlungsstraßen in Eigenleistung zu erstellen, erfolgreich ab. Nun griffen die Siedler wieder zu Hacke und Pickel, um die Seiten- und Nebenstraßen in Gemeinschaftsarbeit zu errichten. Jede Siedlerstelle musste dafür 50 Arbeitsstunden leisten. Es wurden ca. 5400 cbm Sand und Kies bewegt. Das Baumaterial lud man auf Lastwagen, kippte es an der Verarbeitungsstelle ab, planierte und walzte es ein. Damit konnten erhebliche Baukosten gespart werden. Nun stellte sich das Problem der Randbefestigung der Gehwege. Um die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, stellte man die Randsteine ebenfalls in Eigenleistung her. Die gesamten Materialkosten für Sand, Zement etc. von ca. 11000 DM zahlten die Siedler aus eigener Tasche.

Parallel dazu ließ die Bayerische Landessiedlung e.V. die Hauptstraßen unter Vorfinanzierung befestigen und teeren. Aber das Jahr 1954 brachte auch neue Probleme mit dem Schießplatz. Er wurde trotz heftiger Proteste von Seiten der Siedler von den Amerikanern wieder genutzt. Jetzt wurde tagelang mit scharfer Munition geschossen, wobei oft Querschläger und verirrte Kugeln in Häuser und Dächer einschlugen.

Die Straßen entlang des Schießplatzes wurden zu Panzerstraßen umfunktioniert. Sie waren nun Zufahrtswege zur damaligen Henry-Kaserne. Manchmal fuhren Kolonnen mit mehr als 100 gepanzerten Fahrzeugen unmittelbar an der Siedlung vorbei. Dass dabei Schäden entstehen mussten, war klar.

Die Fensterscheiben klirrten, der Boden zitterte, die Wände bekamen Risse, der Putz bröckelte ab. Die Häuser hielten diesen Erschütterungen nicht stand. Es war furchtbar!

Aber alle Proteste von Seiten der Siedlung, der Kirche, den Parteien, von Abgeordneten des Bayerischen Landtages, von Stadträten halfen nichts. Erst 1961 lenkten die Amerikaner ein. Der Zufahrtsweg zur Henry-Kaserne wurde in die Mitte des Schießplatzes verlegt, die Schutzwälle wurden ausgebessert und erhöht. Nach erneuten, überaus heftigen Streitereien in der damaligen Vorstandschaft wurde die Siedlung 1955 geteilt. Es entstand ein Ost- und ein Westteil.

Die Neugründung des Westteils, mit dem Namen „Siedlerschaft München Nord e.V.“ erfolgte am 01. April 1955.

Als 1. Vorstand wurde Herr Josef Schmidseder gewählt. Im Jahre 1956 wurden auch die Verhandlungen mit der Stadt München, dem Land Bayern und dem Bundesfinanzministerium auf der einen –der Bayerischen Landessiedlung e.V. auf der anderen Seite- zur Übereignung des Bodens abgeschlossen. Das Verhandlungsergebnis war für die Siedlung sehr günstig. Der Grundstücksverkauf erfolgte nach dem sogenannten Vorschaltgesetz. Der vorläufige Übernahmepreis wurde mit 1,00 Goldmark pro Quadratmeter Siedlungsland festgelegt. Dieser Preis beruhte auf einer bindenden Anordnung des Bayerischen Finanzministeriums, worin die Baulandpreise von 1947 zugrunde gelegt wurden.

1956 konnte die Siedlung mit einer privaten Buslinie der Firma Obermaier an das Verkehrsnetz der Stadt München angeschlossen werden. Welchen Fortschritt dies bedeutete, kann nur der beurteilen, der täglich zweimal ca. ½ Stunde zu Fuß zu einem öffentlichen Verkehrsmittel gehen musste. Im Juli 1957, auf einer großen Übereignungsfeier in Anwesenheit von Thomas Wimmer, dem Oberbürgermeister der Stadt München, sowie von Staatsministern, kirchlichen und weltlichen Würdenträgern des öffentlichen Lebens, wurde stellvertretend 6 Siedlern die Übereignungsurkunde für ihr Grundstück feierlich überreicht.

Aus Freude, nun auch Eigentümer des Grund und Bodens zu sein, erklärten sich alle anwesenden Siedler spontan bereit, einen Kindergarten für ihre Kinder und Enkelkinder zu bauen. Die Grundsteinlegung fand auf der gleichen Veranstaltung statt. 1959 erfolgte die feierliche Einweihung und Übergabe des Kindergartens unter Anwesenheit von zahlreichen Ehrengästen aus Kirche und Politik. Stellvertretend sei nur Dr. Alfons Goppel, der spätere Ministerpräsident, genannt, der auch die Festrede hielt.

Die Materialkosten teilten sich der Caritasverband, der spätere Träger, und die Stadt München. Ein nicht unerheblicher Betrag von DM 28.000 wurde von der Siedlung, neben ihren ca. 7000 freiwillig geleisteten Arbeitsstunden, zur Verfügung gestellt. Dieses Kapital stammte aus Pachtrückzahlungen der Landessiedlung an die Siedlung. In zähen Verhandlungen mit der Bayerischen Landessiedlung war es der Vorstandschaft gelungen, ca. DM 95.000 an gezahlter Pacht, für die Jahre 1949 bis 1959, wieder zurück zubekommen. Der Rest dieses Geldes bildete dann 1965 den Grundstock des Rösswiesenwegkontos.

Wieder hatten alle Siedler mit einer beispiellosen Selbstverständlichkeit je ca. 20 Stunden ohne Bezahlung für den Bau des Kindergartens gearbeitet. In zahlreichen Artikeln in Presse und Rundfunk wurden Fleiß und die Schaffenskraft der Siedler gelobt und gewürdigt, die sich aus einem ungenützten Schießplatz eine neue Heimat geschaffen hatten.

Im Jahre 1957 wurde auch die evangelische Michaelskirche eingeweiht. Erster Seelsorger war Herr Pastor Berg. Die Besitzer der Häuser an der Mathilde-Boyen-Straße traten 1957 geschlossen der Siedlergemeinschaft München Nord e.V. bei. Aber die Zeit blieb nicht stehen. Die Siedlungshäuser wurden langsam zu klein. Wieder wurde die Siedlung eine Baustelle. In den Jahren 1958 bis 1962 sind ca. 90 bis 100 Häuser erweitert worden. Die Anbauten bezogen meistens die heranwachsenden Kinder der Siedler. In diese Zeit fällt auch das Anwachsen des Müllberges in Großlappen, der die Siedler lange Zeit mit den übelsten Gerüchen belästigte und noch belästigt. Er war jahrelang Thema jeder Siedlerversammlung und füllte seitenlange Protestschreiben an den Münchener Stadtrat.

Gegen Ende des Jahres 1963 wurde erneut ein Bauschub ausgelöst. Das erste Haus mit Erdgeschoß und 1.Stock entstand. Nun war der neue Baustil geprägt. Ab jetzt wurden die Häuser größtenteils zweigeschossig gebaut. Das löste bei einigen Siedlern eine dritte Bauwelle aus, die bis jetzt anhält.

In den Jahren 1964 und 1965 wurden die Seiten- und Nebenstraßen mit einer Teerdecke versehen. Die Siedlung wurde staubfrei gemacht. Es wurden die Voraussetzungen zur Übernahme der Straßen durch die Stadt München geschaffen. Jeder Siedlerstelle zahlte DM 1600 für die Teerung der Straßendecke und DM 200 für die Teerung des Gehsteiges.

Bei einigen Siedlern finanzierte die Siedlung diese Beträge vor, denn sie waren nicht in der Lage, das Geld sofort zu bezahlen. Die Siedlung gewährte diesen Familien ein zinsloses Darlehen, das in Raten zurückgezahlt werden konnte. Nach Beendigung der Baumaßnahmen und nach Übernahme der Siedlungsstraßen durch die Stadt, wurde das Rösswiesenweg-Konto mit der Auflage angelegt, mit diesem Geld darf nur der für später vorgesehene Ausbau des Rösswiesenweges finanziert werden.

1966 wurde die Grünanlage zwischen Hartweg und Heidemannstraße von der Stadt München geschaffen. Dies führte wieder zu einigen Problemen, da nur ein Teil der Siedler zur Kostendeckung herangezogen wurde. Ab 1967 zogen die Amerikaner aus den Kasernen ab. Jetzt wurde es auf dem Schießplatz ruhig. Die von 1968 an einziehende Bundeswehr versicherte glaubwürdig, dass auf diesem Schießplatz nie mehr scharf geschossen wird.

1973 konnte die neue katholische Kirche der Kuratie St. Katharina eingeweiht werden. Ein moderner verglaster Betonbau mit einem Gemeindesaal im Keller. Die alte Kirchenbaracke hatte ausgedient. Sie wurde abgetragen, auf der freien Fläche entstand ein Parkplatz. Der Pfarrgemeinderat veranstaltete hier nun jedes Jahr ein Sommerfest.

Nach Klärung der Besitzverhältnisse begann man 1980 damit, den Schießplatz einzuebnen und zu bebauen. In Planung und Ausführung wurden auch die beiden Siedlungen eingebunden. Zu gleicher Zeit wurde auch die Siedlung an das öffentliche Kanalnetz der Stadt München angeschlossen. Die Arbeiten am Kanalnetz wurden sektionsweise durchgeführt, damit der Verkehr in der Siedlung aufrechterhalten werden konnte. Die Straßenbeleuchtung wurde erneuert, die Elektrizitätsversorgung wurde in die Erde verlegt. Die Siedlung hat sich nun zu einer schmucken Vorstadtsiedlung entwickelt.

So wie sich die Siedlung äußerlich wandelte, so vollzog sich auch ein Wandel im Inneren. Die langjährigen verdienten Vorstandsmitglieder traten ab, machten dem Nachwuchs Platz. Es bildete sich ein ganz neuer Vorstand. Die ersten Aufgaben des neuen Vorstandes bestanden darin, das Rösswiesenweg-Konto aufzulösen. Denn in dem Bebauungsplan der Stadt München für die Gartenstadt an der Heidemannstraße war der Rösswiesenweg nicht mehr aufgeführt. Damit war die Voraussetzung zur Auszahlung des Geldes an die Siedler gegeben. Die veraltete Siedlungssatzung wurde überarbeitet und erneuert, die Kanalisierung abgeschlossen. Es wurde somit die Arbeit der früheren Vorstände nahtlos fortgesetzt.

Heute leben annähernd 1600 Menschen in der Siedlung. Die Kinder, die hier keine Möglichkeit hatten, ein Haus oder eine Wohnung zu bekommen, sind ausgezogen. Viele haben sich außerhalb Münchens ein Haus gebaut. In akademischen Berufen sind Ärzte, Priester, Juristen, Ingenieure usw. aus der Siedlung hervorgegangen. Dann die vielen Handwerksmeister, Schlosser, Elektriker, Bäcker, Automechaniker usw.

Mit diesen Veränderungen wandelten sich auch die Gefahren, die der Siedlung drohen. Waren es früher die Armut und Entbehrungen, so sind es jetzt Bodenspekulanten. Fertighaus- und Baufirmen zahlen praktisch jeden Preis, um ein Siedlungsgrundstück zu erwerben. Die werden dann geteilt, mit modernen „Reihenhaustypen“ von der Stange bebaut und mit großem Gewinn weiterveräußert, ohne Bindung an die gewachsene Siedlung.

Darum Siedler seid wachsam und bedenkt, wie schwer es war, die Siedlung zu dem werden zu lassen, was sie heute ist!